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Handeln aus der Mitte

  • ivonnegrabinski
  • 2. Apr.
  • 5 Min. Lesezeit

DER UMGANG MIT EMOTIONEN AUF DER BRÜCKE ZWISCHEN ALTEN WEISHEITSLEHREN UND MODERNER FORSCHUNG


In einer Zeit, in der Führungskräfte ständigem Druck und hoher Komplexität ausgesetzt sind, wird die Frage nach einer stabilen inneren Haltung immer drängender. Wie kann man innerlich stabil sein und gleichzeitig flexibel auf die Anforderungen der Umgebung reagieren?



Die Verbindung zwischen alten Weisheitslehren wie Zen, Buddhismus, Yoga und moderner Emotionsforschung bietet eine tiefgehende Antwort: Handeln aus der Mitte. 


Die Weisheit der Mitte in östlichen Traditionen 

Die Idee der inneren Mitte, der Zentrierung, findet sich in vielen östlichen Weisheitstraditionen. Im Zen-Buddhismus symbolisiert sie den Zustand der Gegenwärtigkeit und Gelassenheit, der durch Achtsamkeit und Meditation entsteht. Das Hara, das energetische Zentrum des Menschen unterhalb des Nabels, wird als Sitz der Stabilität und des ruhigen Handelns verstanden. In der japanischen Kultur steht das Hara auch für emotionale und spirituelle Ausgeglichenheit. 

In der Yoga-Tradition steht die Zentrierung im Gleichgewicht zwischen Sthira (Stabilität) und Sukha (Leichtigkeit). Diese Qualitäten werden durch Atemübungen, Körperhaltungen und Meditation kultiviert. Neben der körperlichen Balance steht dabei auch die mentale Flexibilität im Fokus. Auch im Taoismus und in Kampfkünsten wie Aikido wird die Mitte als Ausgangspunkt bewussten und effektiven Handelns betont. Sie ist die Quelle von Klarheit und Handlungsfähigkeit, die es erlaubt, selbst in herausfordernden Situationen präsent und gelassen zu bleiben. 


Emotionen und ihre Rolle in der Weisheitstradition 

Emotionen werden in diesen Traditionen oft als wellenartige Bewegungen im Geist betrachtet, die die Wahrnehmung trüben können. Das Ziel ist dabei nicht die Unterdrückung der Emotionen, sondern der bewusste Umgang mit ihnen. Der Buddhismus spricht von Samskaras – inneren Prägungen, die unsere emotionalen Reaktionen steuern – und lehrt, diese durch Achtsamkeit und Mitgefühl aufzulösen. Ein Beispiel könnten negative Gedankenschleifen sein, die unbewusst unsere Handlungen beeinflussen. Yoga beschreibt ähnliche Mechanismen in den Kleshas (geistigen Hindernissen), die durch Bewusstheit transformiert werden können. Zu den Kleshas gehören unter anderem Unwissenheit, Ego, Anhaftung, Abneigung und die Angst vor dem Tod. 


Moderne Emotionsforschung: Eine neue Perspektive 

Lisa Feldman Barretts Theorie der Emotionen, tiefer erläutert in ihrem Buch „Wie Gefühle entstehen“, unterstützt dieses Verständnis von Emotionen nun auch aus wissenschaftlicher Sicht: Entgegen der alten Emotionsforschung zeigt die aktuelle Wissenschaft, dass Emotionen keine universellen, biologisch determinierten Reaktionen sind, sondern Konstruktionen unseres Gehirns. Diese entstehen aus der Kombination von Körperwahrnehmung, Erfahrungen und kulturellen Kontexten. 

Diese Perspektive betont die Plastizität von Emotionen und zeigt, dass wir durch bewusste Praxis Einfluss auf unsere emotionalen Reaktionen nehmen können. Damit knüpft sie an die östlichen Weisheitstraditionen an, die lehren, dass unsere emotionale Reaktivität von unbewussten Mustern geprägt ist und durch Selbstreflexion und Praxis transformiert werden kann. Wir sind unseren Emotionen also nicht per se ausgeliefert


Selbstwahrnehmung 

Setzen wir also hier an und nutzen die Praxis der Achtsamkeit, verstanden als bewusstes Wahrnehmen, und verbinden entlang der alten Weisheitstraditionen und der modernen Forschung die Perspektiven des Körpers, der Emotionen und der Gedanken. Durch die geschärfte Wahrnehmung können wir Bewusstsein schaffen und innere Prozesse besser erkennen und damit umgehen


  • Emotionen im Körper wahrnehmen und benennen: Emotionen beginnen im Körper. Ein erhöhter Herzschlag, Spannung in der Brust oder ein Knoten im Bauch sind oft die ersten Signale, die das Gehirn interpretiert und als spezifische Emotion einordnet. Nun gilt es, wahrzunehmen, was der Körper uns mitteilt, und die damit einhergehenden Empfindungen, Emotionen und Gedanken bewusst zu benennen. Hier sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Humorvolle Beschreibungen wie „Die-Chipstüte-ist-leer-Frust“ zeigen, wie kreativ wir dabei sein können. Das hilft uns, Emotionen zu entmystifizieren und macht sie leichter zugänglich. Je differenzierter wir Emotionen benennen – sei es spielerisch oder präzise –, desto besser können wir sie regulieren, so die Forschung. Nutzen wir sie also als wertvolle Hinweise, anstatt uns von ihnen überwältigen zu lassen. 

  • Körperhaltung: Unsere Körperhaltung – wie wir stehen, gehen, sitzen und uns anderen zuwenden – gibt Rückschlüsse auf unsere innere Haltung oder Verfassung. Das Spannende ist, dass dies keine Einbahnstraße ist. So kann ich über meine Körperhaltung, indem ich mich zum Beispiel körperlich aufrichte, unmittelbar auf mein inneres Befinden einwirken, in diesem Fall in Richtung innerer Aufrichtung. Es liegt auf der Hand: Nutzen wir diesen Effekt in unserem Alltag, hilft uns das, ungesunde innere Zustände schneller zu identifizieren und aufzulösen – einfach nur, indem wir über das Justieren der Körperhaltung erste Hilfe leisten. 

  • Emotionale Wellen: Ein zentraler Unterschied, der in vielen Weisheitstraditionen betont wird, liegt im Gegensatz zwischen „Ich bin meine Emotion“ und „Ich habe eine Emotion“. Emotionen sind temporäre Zustände, die uns etwas über uns und unsere Umwelt mitteilen und kommen oft in Wellen. Diese Perspektive schafft einen gesunden Abstand zu den eigenen Emotionen, ohne sie zu verdrängen. In der Praxis ist dies eine tägliche Übung der Persönlichkeitsentwicklung, die mit der inneren Entscheidung einhergeht, inwieweit ich mich in meine Emotion hineinbegebe. Denn in Emotionen zu baden, kann manchmal auch gewünscht sein – aber eben nicht immer. Es gibt auch hier kein richtig oder falsch. Gut ist nur, wenn ich mir diesbezüglich bewusst bin. 

  • Gedanken und mentale Muster: Achtsamkeit ermöglicht es, Gedankenmuster und Glaubenssätze zu erkennen, die einen großen Einfluss auf unsere Emotionen haben und diese verstärken oder verzerren. Indem wir diese Gedanken und den zugehörigen inneren Kompass bewusst wahrnehmen, reflektieren und gegebenenfalls adjustieren, können wir den Einfluss relativieren und mehr Gelassenheit gewinnen. 


Emotionen als Wegweiser 

Emotionen sind wertvolle Signale, die auf Unstimmigkeiten in unserem Inneren oder in unserem Umfeld hinweisen. Statt in die Extreme zu gehen und sie entweder zu unterdrücken oder sich ganz mit ihnen zu identifizieren, können sie genutzt werden, um weitere Perspektiven einzubringen und Situationen in Verbindung mit der eigenen Person zu hinterfragen. Sie helfen uns besser zu verstehen, was ansteht: eine Lernaufgabe, mehr Klarheit, Grenzen ziehen, Loslassen, Akzeptanz, Verharren oder etwas ganz anderes. Die bewusste Arbeit mit Emotionen stärkt die Verbindung zu sich selbst und führt zu tieferer innerer Klarheit


Je komplexer und dynamischer die Umwelt ist, desto mehr sind gerade Führungskräfte gefordert, Sicherheit in Unsicherheit zu vermitteln. Und dies wird rein kognitiv oder rein mit funktionaler Macht immer weniger gelingen. Hier entfaltet die bewusste Arbeit mit unseren Emotionen ihre Kraft. Die Fähigkeit zum Umgang mit Gefühlen sowie innere Zentrierung stärkt die Präsenz in der Führung und die eigene Resilienz.


Es geht dabei nicht darum, immer in seiner Mitte zu sein, sondern die Fähigkeit zu entwickeln, wahrzunehmen, wenn man „außer sich“ ist – in der Regel aufgrund von Emotionen – und die Kompetenz, zügig wieder zu sich selbst zurückzufinden.


Dieser ständige Balanceakt macht das menschliche Leben aus und ist ein Weg, den wir bewusst gestalten können. Wie der Aikidō-Meister Koichi Tohei sagte: „Die Kunst des Aikidō besteht darin, sich immer wieder in den Zustand des Gleichgewichts zurückzubringen.“ 


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